Inhaltsverzeichnis der Seite "Wann, wenn nicht jetzt"
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Ich schreibe über Phänomene und Themen, deren wir uns im täglichen Leben nicht so bewußt sind, und für die es sich lohnt, einen Moment inne zu halten.
Es geht um
Ich möchte Ihnen eine ganz einfache Frage stellen, eine Frage,
die Sie im Trubel Ihres Alltags vielleicht immer wieder vergessen,
für die Sie sich normalerweise keine Zeit nehmen, die Sie verdrängen,
weil Sie ahnen, wie Ihre Antwort ausfallen würde: „Lebst du jetzt,
wirklich? In diesem Augenblick, ganz und gar?“ Wie lautet Ihre
Antwort? Vielleicht: „Leben ist das, was sich ereignet, während ich
mit anderen Dingen beschäftigt bin?“
Wer kennt nicht Sätze wie: „Jetzt nicht, später, jetzt habe ich
keine Zeit, ich muss erst noch unbedingt ...“ Das gibt Aufschluss
darüber, wie wir mit den Möglichkeiten unseres Lebens umgehen: Wir
halten etwas anderes für wichtiger, für dringlicher als das, was
gerade ist, was unser Organismus, unsere Seele im Augenblick braucht.
Vor lauter Beschäftigung mit drängenden Dingen, die alle erst
noch zu erledigen sind, kommen wir nicht zu dem, was wir eigentlich
leben möchten. Unsere Zeit verbringen wir mit fortdauernden
Vorbereitungen auf die Zukunft, in der unser eigentliches Leben
stattfinden soll. Aber: „Wann soll das Leben stattfinden, wenn nicht
jetzt?“
Um die Wirklichkeit des Lebens vollständig zu erfassen, braucht es einen Zustand der Präsenz. Das meint eine innere, zentrierte Haltung der Wachheit und Offenheit für alles, was ist und was ich bin, mit allen Aspekten und Nuancen. Dazu gehört ein unmittelbares, unvoreingenommenes Schauen auf die Dinge. In diesem Schauen habe ich einen freundlichen, wohlwollenden Blick, voller Interesse und Vertrauen. Er ist weder verzerrt noch gefiltert von irgendeiner Moral, Überzeugung, Meinung, Bewertung oder Ansicht. Ziel ist, mit allen Sinnen zu erfassen, wie die Dinge in der Tiefe wirklich sind, wie sie aussehen, schmecken, riechen, sich anfühlen, sich anhören, kurz: wie sie auf mich wirken.
In dieser Weise zu schauen ist gar nicht so einfach, denn wir
sind es eher gewohnt, die Welt aufgrund unserer Vorstellungen und
Annahmen wahrzunehmen, und zwar so, dass sie in unsere Vorstellungen
passt. Wenn ich als Kind nicht die Erfahrung machen konnte, dass
jemand kommt, wenn ich schreie, mich beruhigt, wenn ich aufgeregt
bin, mich hält, wenn ich mich ängstige, dann werde ich kein
Vertrauen in die Welt haben. Ich werde die Vorstellung entwickeln:
„Das Leben meint es nicht gut mit mir, ich muss alles alleine
bewältigen und kann mich auf keine Unterstützung verlassen.“ Wenn
ich auch als Erwachsener der Welt mit dieser Annahme begegne, nehme
ich sie automatisch als eine wahr, der man stets misstrauen muss.
Ich öffne mich dann nicht für Erfahrungen, die dieses alte Konzept
korrigieren würden, und erfahre somit nicht die Wirklichkeit der
Gegenwart. Die Frage „Lebst du jetzt wirklich? In diesem Augenblick,
ganz und gar?“ muss ich dann verneinen.
So wie ich es gewohnt bin, die Welt passend zu meinen
Vorstellungen wahrzunehmen, so nehme ich mich selbst passend zu
meinem Selbstbild wahr. Geprägt von einem Erziehungsgrundsatz wie z.B. „Edel
sei der Mensch, hilfreich und gut“, identifiziere ich mich mit den
Eigenschaften eines freundlichen, selbstlosen und rücksichtsvollen
Menschen. Die anderen Seiten, die ich auch noch habe, z.B.
rechthaberisch und egoistisch zu sein, passen dann nicht in dieses
Bild, wirken verunsichernd und werden deshalb ausgeblendet. Aber
Wenn ich Erfahrungen deute und Deutungen als Tatsache betrachte, dann erlebe ich die Welt nicht, wie sie wirklich ist. Dann ist mein Leben das, was sich ereignet, während ich mit meinen Interpretationen beschäftigt bin.
Wenn „mein Leben leben“ bedeutet, die Dinge nicht zu
interpretieren, sondern sie zu sehen, wie sie wirklich sind, dann
muss ich Verantwortung übernehmen für mein Handeln und die sich
daraus ergebenden Konsequenzen.
Durch das Erkennen solcher Prozesse und Zusammenhänge übernehmen
wir die Verantwortung für unser Verhalten.
„Die erste Voraussetzung dafür, das zu erfahren,
was wir potenziell erfahren können,
ist aufzuhören, etwas anderes zu tun.“
Naranjo
Um wirklich im Augenblick zu leben, ist es nötig, mich von vertrauten Mustern und Gewohnheiten zu trennen, wenn sie mir das Leben verstellen, meine Wahrnehmung verzerren, meinen Blick trüben, meine Energie blockieren, mein Fühlen betäuben, die Entfaltung meiner schöpferischen Kräfte, sowie meine Interaktion mit der Umwelt in Achtung und Respekt verhindern.
Vor dem Hintergrund der Gestalttherapie möchte ich Ihnen folgende
Fragen als Begleitung auf Ihrem Weg hin zu einem lebendigen Leben im
Hier und Jetzt ans Herz legen:
Kann ich in Berührung kommen mit der Tiefe und dem Reichtum
meines Wesens und der Welt? Bin ich neugierig auf mich selbst, wer
ich bin und was das Leben mir zu bieten hat, sei es schön, angenehm
und beglückend oder erschreckend, traurig und unvertraut? Bin ich
bereit, all das zu erfassen und anzunehmen, wie es ist? Öffne ich
mich für das, was mich in meinem Leben unterstützt, und verschließe
ich mich vor dem, was giftig für mich ist und destruktiv? Setze ich
mich für die Befriedigung meiner Bedürfnisse ein oder warte ich ab,
ob es das Leben für mich tut? Verwende ich meine Fähigkeiten und
Fertigkeiten dazu, Dinge zu tun, die ich für richtig halte, in
Übereinstimmung mit meinem innersten Wesen und unabhängig von dem
Urteil anderer, unabhängig vom Ergebnis oder den Folgen meines
Handelns? Treffe ich meine Entscheidungen, weil sie stimmig für mich
sind, auch wenn ich damit den Normen, Konventionen und
Wertvorstellungen anderer nicht entspreche? Weiß ich, was ich fühle,
sage ich, was ich meine, und tue ich, was ich sage?
Wir sind dazu bestimmt, jetzt zu leben, weil uns das Leben
geschenkt worden ist. Manche Menschen nehmen das, was ihnen
widerfährt, passiv als ein gegebenes Schicksal hin. Man kann die
Ereignisse des Lebens aber auch aktiv als eine Herausforderung
betrachten, sich daran zu entwickeln und das Beste daraus zu machen
für sich und die Gemeinschaft, in der man lebt. Vielleicht liegt
unsere Bestimmung darin, der Mensch zu werden, der wir durch die
Entwicklung unserer besten Anlagen und Talente werden können. Durch
die bewusste Entscheidung zu solch einer aktiven Haltung dem Leben
gegenüber „verwandeln wir ein unpersönliches Schicksal in unsere
persönliche Bestimmung“ (Kopp).
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